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Hochsensibel und resilient – geht das zusammen?

Sind hochsensible Menschen prinzipiell weniger resilient? Oder hat Hochsensibilität vielleicht sogar manche Vorteile beim Ausbilden von Resilienz? Das ist die Frage, mit der ich mich in der letzten Zeit befasst habe und zu der ich mich mit verschiedenen Menschen ausgetauscht habe. Doch zuvor ein paar einleitende Begriffserklärungen.

Was ist Resilienz?

Die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen wird als Resilienz bezeichnet. Resilienz ist die Fähigkeit von Menschen, auch in stressigen und kritischen Lebensphasen gesund zu bleiben und sich ausreichend wohlzufühlen. Hohe Resilienz ist immer die Folge eines günstigen Zusammenspiels von Persönlichkeitsfaktoren und Umwelt.

Was ist angeborene Hochsensibilität im Unterschied zu trauma- oder krankheitsbedingter Überempfindlichkeit?

Die anlagebedingte Hochsensibilität zeigt sich in feinerer Wahrnehmung und gründlicher Verarbeitung von Reizen. Oft ist sie mit einer speziellen Begabung verbunden. Überempfindlichkeit (Vulnerabilität, hohe Kränkbarkeit) ist etwas anderes. Jedoch sind viele Menschen sowohl anlagebedingt hochsensibel als auch traumabedingt vulnerabel.
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Was Resilienz fördert

In der Resilienzforschung wurden einige wichtige sogenannte Resilienzfaktoren entdeckt. Es sind dies unter anderem:

  • Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Selbstwirksamkeitserwartung)
  • Optimismus
  • Verantwortungsgefühl, besonders für das eigene Leben
  • Achtsamkeit
  • ein unterstützendes und wertschätzendes Umfeld (Soziale Unterstützung), Verbundenheit

Hochsensibel und resilient – passt das zusammen?

Viele Menschen, die den Begriff „hochsensibel“ hören, denken sofort, dass solche Menschen weniger widerstandsfähig und weniger lebenstüchtig sind als der Durchschnitt. Auch viele Hochsensible selbst halten sich für weniger belastbar als ihre Mitmenschen. Aber wir alle kennen viele HSP, die schwere Krisen gut bewältigt haben und auch noch anderen Menschen geholfen haben. Und die sogar gestärkt aus diesen Krisen hervorgegangen sind. So wollen wir uns nun ein paar der resilienzfördernden Faktoren aus Sicht der Hochsensiblen ansehen.

  • Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Selbstwirksamkeit)

Die Fähigkeit, Stress, Trubel oder Konflikte auszuhalten, ist bei Hochsensiblen normalerweise geringer. Daraus schließen sie – und ihre Mitmenschen – dass sie weniger resilient seien. Jedoch, die Fähigkeit, obiges zu ertragen, ist nicht der einzige Maßstab dafür, wie gut man in seinem Leben zurechtkommt. Es gibt sehr viele Fähigkeiten, beruflich, persönlich, handwerklich, musisch, Fremdsprachen, Allgemeinbildung, u.s.w. Hochsensible Menschen sind oft vielseitig interessiert und bilden sich gerne weiter. Elaine Aron, die als erste in den 90-er Jahren in den USA zu Hochsensibilität geforscht und publiziert hat, rät Hochsensiblen, Ausbildungen zu absolvieren und ihre Kompetenzen zu entwickeln. Viele Hochsensible sind vielseitig gebildet, haben aber Schwierigkeiten, sich mit ihren Fähigkeiten in die Gesellschaft einzubringen. Abgeschlossene Ausbildungen sind dabei eine große Hilfe. Die eigenen Fähigkeiten zu kennen und weiterzuentwickeln, stärkt die eigene Resilienz.

  • Soziale Unterstützung

Glücklich die Hochsensiblen, die ein verlässliches familiäres Umfeld hatten und haben. Das ist der wichtigste Faktor dafür, ob HSP im Leben gut zurechtkommen. Wer das verlässliche Umfeld in der Familie nicht hat, der hat immer noch die Möglichkeit, bewusst daran zu arbeiten, sich anderweitig ein unterstützendes Umfeld zu schaffen. Ein erster Schritt ist, zu erkennen, wie wertvoll und wichtig das ist. In der Folge hilft uns oft unser Feingefühl, zu erkennen, wem wir vertrauen können.

  • Achtsamkeit

Man sollte meinen, dass sich Hochsensible besonders leicht damit tun, achtsam zu sein. Ja, wegen ihrer detailreichen Wahrnehmung und ihrer gründlichen Verarbeitung sind sie dafür prädestiniert. Jedoch sind viele HSP „zu sehr außen“. (vgl. Parlow, Zart besaitet, Seite 118) Sie achten dann so sehr auf die Signale von außen, besonders von anderen Menschen, dass sie nur mehr wenige Kapazitäten dafür haben, auf sich selbst und ihre eigenen Empfindungen, Wünsche und Bedürfnisse zu achten. Hochsensible Menschen, die in unsicheren Verhältnissen aufgewachsen sind, neigen besonders dazu, „zu sehr außen“ mit ihrer Wahrnehmung zu sein.
Es gibt – nicht nur bei Hochsensiblen – aber auch das umgekehrte Phänomen. Manche Hochsensible, die sich in die „Innere Emigration“ zurückgezogen haben und besonders solche von ihnen, die den Achtsamkeits-Boom freudig mitmachen, stellen ihre eigenen momentanen Empfindungen so sehr in den Mittelpunkt, dass es ihnen besonders schwer fällt, das größere Ganze zu sehen. Es fällt ihnen dann auch schwer, Ziele konsequent zu verfolgen oder zu ihren eigenen Werten zu stehen. Wenn Widerstand auftaucht, oder wenn sie sich nicht wohl fühlen, so meinen sie, das Ziel sei wohl „nicht stimmig“ und geben es auf.
Da hochsensible Menschen besonders reizoffen sind, ist es für sie verständlicherweise oft besonders schwer, sowohl auf ihr Inneres als auch auf die Außenwelt zu achten. Ein erster Schritt in Richtung guter Balance kann es sein, sich erst einmal über die eigene Hochsensibilität im Klaren zu sein. In der Folge können wir üben, bewusst auf uns und unsere momentane Befindlichkeit zu achten, ohne unsere Werte und Ziele aus den Augen zu verlieren.

Hochsensible Menschen haben es also nicht unbedingt schwerer, Resilienz zu entwickeln. Es lohnt sich jedenfalls in jedem Alter, an der eigenen Resilienz zu arbeiten. Abschließen möchte ich mit einem Gedanken, den ich in einem Artikel in der Zeitschrift „Psychologie heute“ entdeckt habe:

Resilienz ist kein Schutzschild, sondern eine Form der Aktivität. Resilient sind nicht die, die sich nicht berühren lassen, sondern die, denen es gelingt, in allem Übel auch noch ein Körnchen Gutes zu finden.

Herzliche Grüße!
Liesi

Zum Weiterlesen:

Definition und einige Gedanken zu Resilienz https://www.resilienz-expertise.de/was-ist-resilienz

Artikel in Psychologie heute: https://www.psychologie-heute.de/leben/38838-resilienz-laesst-sich-lernen.html

3 Gedanken zu „Hochsensibel und resilient – geht das zusammen?

  1. Hallo Liesi,
    danke für diesen Artikel, ich finde den Bezug zwischen Resilienz und Hochsensibilität sehr spannend.
    Das Schöne ist ja, dass jeder Mensch seine Resilienz trainieren kann. Und ich habe festgestellt, dass das Resilienz-Training mir bei dem Umgang mit den Herausforderungen der Hochsensibilität sehr geholfen hat.
    So sind Themen wie Akzeptanz und Selbstverantwortung wichtig und ein geübter Umgang damit hilfreich. Bei Akzeptanz fällt mir z.B. die Selbstakzeptanz ein – ich kann ewig dagegen kämpfen, dass ich reizoffener und damit potentiell stressanfälliger bin oder die Tatsache akzeptieren und meine Energie dazu nutzen, Wege für mich zu finden, gut damit umzugehen.

    Es lohnt sich, sich mit dem Thema Resilienz zu beschäftigen.

    Herzliche Grüße
    Sabine

  2. Ich muss ehrlich sagen, dass ich aufgrund meiner Hochsensibilität oft auf Situationen ängstlich reagiere, die “rational” betrachtet keine Angst auslösen müssten. Tja, so steckt man halt immer in seiner Haut. Resilienz war deswegen für mich ehrlich gesagt immer außer Reichweite. Mit Hilfe meiner Therapie habe ich es jedoch geschafft, in meinem eigenen Ausmaß resilient zu sein, mehr auf mich zu hören und mich zurückzuziehen, sofern es geht. Ich habe mich viel besser kennengelernt und bin stolz darauf. Manchmal kann ich mich als Mutter jedoch nicht so zurückziehen, wie ich es gerne hätte, und gehe Kompromisse ein, auf die mein Nervensystem dann entsprechend reagiert. Für Menschen, die in einer ähnlichen Situation stecken, kann ich nur GABA empfehlen! Das ist eine Neurotransmitter-Substanz, die eine beruhigende Wirkung auf das Nervensystem haben kann. Für mich ist das enorm hilfreich in Momenten, in denen meine Resilienz an ihre Grenzen kommt.

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