Alle Menschen, egal ob mehr oder weniger empfindlich, fühlen sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite von Anregung durch verschiedenste Reize am wohlsten. Erhalten sie nicht genügend Anregung (= Stimulation), fühlen sie sich gelangweilt und unwohl. Sind sie hingegen mehr oder intensiveren Reizen ausgesetzt als ihnen lieb ist, so fühlen sie sich überfordert, hilflos oder gar bedroht.
Ein gewisser Prozentsatz der Menschen, eben die HSP, erreichen die optimale Anregung schon dann, wenn sich die nicht hochempfindliche Mehrheit noch langweilt. Ist eine Situation für die Mehrheit ausreichend laut, wild, interessant, “spannend”, dann sind HSP oft bereits überreizt.
Dies liegt jedoch nicht daran, dass sie weniger Reize aushalten, sondern daran, dass sie mehr wahrnehmen. Hochsensibilität hat die sehr reale physiologische Ursache eines besonders empfindlichen Nervensystems, oder eben weniger Übertragungsverluste, weil sie über deutlich mehr der relevanten Neurotransmitter verfügen. Dadurch nehmen HSP mehr und feinere Einzelheiten auf. Auch verarbeiten sie alle Eindrücke ausführlicher und tiefer.
Dies hat viele angenehme und nützliche Effekte, aber auch oft die Nebenwirkung, dass HSP den unangenehmen Zustand der Überstimulation merklich früher erreichen als nicht-HSP.
Auch hochsensible Menschen unterscheiden sich voneinander
Hochsensible haben zwar Gemeinsamkeiten, sind jedoch in vieler Hinsicht sehr verschieden, auch bezüglich ihrer Sensitivität. Hochsensible Menschen erkennen einander oft nicht, weil ihre hohe Sensibilität in verschiedenen Bereichen gelagert sein kann:
- Sensorisch sensible Menschen haben besonders feine Sinneswahrnehmungen: Geräusche, Gerüche, Licht und Farben wirken auf sie besonders stark. Oft haben sie in diesen Bereichen eine Begabung: musisch, künstlerisch, ästhetisch. ev. Nachteile: oft besonders lärmempfindlich, leicht irritiert, von vielen Sinneseindrücken schneller überlastet.
- Emotional sensible Menschen nehmen besonders die Feinheiten in zwischenmenschlichen Bereichen auf. Sie sind mitfühlend, hilfsbereit, empathisch, oft besonders genaue Zuhörer mit starker Intuition. Herausforderungen: fühlen sich oft überfordert von der Last all dessen, was sie wahrnehmen. Oft reagieren sie in Gesprächen auf die Untertöne stärker als auf die ausgesprochene Botschaft des Gesprächspartners.
- Kognitiv sensible Menschen haben ein starkes ‘Gefühl’ für Logik, für ‘Wahr oder Falsch’, und denken in sehr komplexen Zusammenhängen. Haben oft besondere Begabungen auf wissenschaftlichem oder technischen Gebiet.
Probleme können sich ergeben, wenn das komplexe Denken die Kommunikation im Alltag behindert.
Viele hochsensible Menschen sind in zwei oder in allen Bereichen sensibel, aber meist haben sie einen Schwerpunkt in einem der Bereiche (spüren, fühlen, denken). Entsprechend ist es auch schwierig, allgemein gültige Tipps für die Alltagsgestaltung hochsensibler Menschen zu geben. Denn nicht nur die Begabungen liegen in verschiedenen Lebensbereichen, sondern auch die Schwächen und Problembereiche.
Die Veranlagung zur Hochsensibilität hat viele Auswirkungen und Implikationen, für die Betroffenen selbst und für die gesamte Kultur. In vielen alten Kulturen wurden die HSP deshalb besonders geschätzt und respektiert. In der modernen Wettbewerbs- und Heldenkultur war diese Veranlagung bis vor Kurzem praktisch unbekannt, und wird oft als Schwäche, Einbildung, Neurose oder Schlimmeres gesehen. HSP sind eine Minderheit, jedoch als solche völlig normal und gesund veranlagt.
Introvertierte HSP
70% der HSP sind introvertiert und situationsbedingt häufig auf dem Rückzug. Dadurch werden sie oft als scheu, gehemmt oder asozial eingestuft – dabei sind die meisten HSP mindestens ebenso sozial und kontaktfreudig wie nicht-HSP. Sie wünschen sich jedoch andere Rahmenbedingungen, um ihre sozialen Neigungen stärker zu leben, und oft eine andere Qualität des Kontaktes. Sie müssen darauf achten, das Rückzug nicht ihre einzige oder hauptsächliche Bewältigungs-Strategie wird, denn dies könnte zu Isolation führen.
Extrovertierte HSP
Jedoch, ca. 30% der Hochsensiblen sind extravertiert. Diese Hochsensiblen sind oft sehr aktiv, engagiert und kontaktfreudig. Oft wissen sie nicht, dass sie hochsensibel sind, und wundern sich nur über ihre gelegentlichen körperlichen oder seelischen Zusammenbrüche. Gerade extravertierte Hochsensible geraten häufig in Gefahr, sich selbst zu überfordern, weil sie auf Ihre Anlage nicht ausreichend Rücksicht nehmen.
Hochsensibilität ist keine Krankheit
Hochsensibilität ist keine Krankheit, keine Störung. Es ist etwas anderes wie Sozialphobie, Neurose oder ADS. Hochsensibilität ist eine normale Spielart innerhalb der Verschiedenheit menschlicher Anlagen, ebenso wie z.b. die Haarfarbe. Allerdings kann es zu Beschwerden und Leiden kommen, wenn sie ihren Alltag nicht Hochsensiblen-gerecht gestalten (können).
In den letzten 10 Jahren erhielten HSP mit ihren Stärken und Schwächen zunehmend Aufmerksamkeit von Forschern und Psychologen. Dadurch ist heute schon viel über die Zusammenhänge und Auswirkungen dieser Gabe bekannt. Somit existieren auch schon Ansätze einer “Gebrauchsanleitung” für Hochsensible. Diese neuesten Erkenntnisse wurden in einem deutschsprachigen Buch veröffentlicht. Das Buch heißt “Zart besaitet – Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen“, und ist im guten Buchhandel sowie direkt beim Verlag zu bestellen. Wir haben das Inhaltsverzeichnis für Sie abgetippt, und auf der Seite des Verlages ist der gesamte Text der ersten vier Kapitel zu lesen.