Als hochsensible Menschen werden wir immer wieder in den Zustand der Übererregung geraten, weil wir nicht alle potenziell herausfordernden Situationen vermeiden können. Und da wir Reize stärker wahrnehmen und gründlicher verarbeiten, werden wir immer wieder mit starken Gefühlen, und/oder einer Flut von Gedanken, sowie mit körperlicher und emotionaler Anspannung und Unruhe zu tun haben.
Deshalb ist es gerade für Hochsensible sehr wertvoll, ein paar wirksame Strategien zu kennen, mit deren Hilfe wir auf die Intensität, Dauer und auch auf die Qualität unserer Emotionen Einfluss nehmen können. Psychologen nennen diese Fähigkeit „Emotionsregulation“. Es ist nicht notwendig, unseren Gefühlen und unserem Temperament hilflos ausgeliefert zu sein. Zwar können wir den Zustand der Übererregung nicht immer vermeiden, aber wir können uns selbst beruhigen und uns selbst helfen. Dafür gibt es zum Glück viele Möglichkeiten.
Die folgende Auflistung ist dem Buch „Hochsensible Männer“ von Tom Falkenstein entnommen, aber gilt natürlich auch für Frauen:
- Emotionen bewusst wahrnehmen, unterscheiden und benennen können (z. B. „Ich fühle Angst“, „Ich fühle Aufregung“, „Ich fühle Ärger“ etc.)
- Den Auslöser erkennen können (z. B. „Ich fühle mich …, weil …“, „Wenn ich … tue, dann fühle ich mich …“) Dabei überlegen wir uns, was genau an der Situation uns Stress macht.
- Die Emotionen achtsam wahrnehmen und sie akzeptieren (z. B. Gefühle beobachten, ohne sofort zu handeln; lernen, Gefühle auszuhalten. Anstatt „Ich will/darf/sollte mich nicht so fühlen“ ist es besser, wir sagen uns selbst „Ich fühle mich gerade … und das ist okay“, oder: „Ich fühle mich … und werde dieses Gefühl weiter beobachten, bis es sich verändert“)
- Emotionen als etwas Normales bewerten (z. B. „Es ist normal und nicht schlimm, sich so zu fühlen“, „Andere fühlen sich in dieser Situation ähnlich“)
- Den Zusammenhang zwischen emotionalen Grundbedürfnissen und Emotionen erkennen können („Ich fühle mich in diesem Moment …, weil …“, „Wenn ich mich … fühle, dann brauche ich …“)
- Angesichts negativer Emotionen sich selbst unterstützen und sich selbst liebevoll begegnen können (z. B. durch Selbstmitgefühl; dem eigenen Leid oder Schmerz freundlich und mit Nachsicht begegnen, so als würde man zu einem guten Freund sprechen. „Ich bin für dich da“, „Dieser Moment ist nicht leicht für dich“, „Ich fühle deinen Schmerz“, „Du bist nicht alleine, ich bin bei dir“, „Erzähl mir, was los ist …“)
- Das Formen von alternativen, selbstberuhigenden Gedanken (zum Beispiel „Bleib ruhig“, „Mach langsam“, „Eins nach dem anderen“)
- Konkrete Verhaltensänderungen in der Situation (d. h. etwas bewusst anders machen als gewohnt oder gezielt etwas tun, das uns beruhigt oder die Situation für uns verbessert oder erträglicher macht)
- Einsatz von körperlicher Entspannung (zum Beispiel Körper, Muskeln und Atmung entspannen, wenn wir angespannt oder gestresst sind)
- Imagination (beispielsweise der Einsatz von Ressourcenbildern, d. h., uns an frühere Situationen erinnern, die uns Kraft, Ruhe, Entspannung und Sicherheit gegeben haben oder auch die Vorstellung eines beruhigenden Ortes oder einer vertrauten Person, mit der wir positive Gefühle und Erinnerungen assoziieren)
Das ist hier nur eine Auflistung in Stichworten, aber ich hoffe, dass Sie das eine oder andere darin entdeckt haben, das Sie bereits erfolgreich angewendet haben und das Sie noch weiter ausbauen können. In seinem Buch beschreibt Hr. Falkenstein die obigen Strategien ausführlicher und mit praktischen Beispielen. Die Fähigkeiten zur Regulation der Gefühle lernen wir oft schon in früher Kindheit, indem wir von unseren Eltern beruhigt, getröstet und geführt werden, aber auch durch Vorbild, d.h. dass wir uns von ihnen deren Strategien abschauen. Das funktioniert leider nicht immer, z.B. wenn die Eltern abwesend, unaufmerksam oder selbst überfordert waren.
Die gute Nachricht ist: Wir können in jedem Alter lernen, mit unseren Emotionen gut umzugehen, sodass wir uns nicht ausgeliefert fühlen. Wir können jederzeit unsere Fähigkeit, eigene Gefühle zu regulieren und zu verändern, durch das Aneignen neuer Strategien stärken und ausbauen.
Autorin: Liesi
Verein zartbesaitet
Buchtipp: „Hochsensible Männer“, Tom Falkenstein, Junfermann 2017