Introvertierte und hochsensible Menschen haben oft ein gemischtes Verhältnis zu Workshops und Seminaren. Einerseits sind sie neugierig und möchten sich weiterentwickeln. Andererseits tun sie sich oft schwer damit, viele neue Menschen auf einmal kennen zu lernen und vor vielen Menschen zu sprechen. Da wird oft schon die bei vielen hochsensiblen Menschen berüchtigte “lockere Vorstellungsrunde” zur Nervenprobe. Wenn diese glimpflich überstanden ist, warten auf Hochsensible viele weitere Herausforderungen. Um nur einige wenige zu nennen:
Das Wahrnehmen von Konkurrenz unter den Teilnehmern (wer ist wichtiger, kompetenter, lockerer), sowie die wahrgenommene „Frohsinns-Pflicht“ oder der Druck zu originellen und gleichzeitig angepassten Wortmeldungen machen oft ein lockeres „Sich öffnen“ schwierig.
Man weiß oft nicht, was einen erwartet, welche Spielchen „zur Auflockerung“ dem Gruppenleiter einfallen, ob man vielleicht unvermutet ins Rampenlicht gezerrt wird, usw.
Der Tag zieht sich sehr lang dahin, und man benötigt mehr Pausen als die meisten anderen. Die Mittagspause incl. Mittagessen ist auch alles andere als erholsam, denn es wird erwartet, dass man diese Zeit zum Netzwerken nützt.
Andererseits haben in den letzten Jahren zahlreiche Seminar- und Teamleiter die besonderen Fähigkeiten und Bedürfnisse von hochsensiblen und introvertierten Menschen entdeckt. Isabella von Hobe vom ACB. Netzwerk für Design & Kommunikation hat genau für diese Gruppe eine bemerkenswerte Sammlung von Tipps für Gruppenleiter gesammelt. Unter dem Titel
54 Workshop-Methoden & Tipps
Der Leitfaden für introvert-friendly Workshops
https://allcodesarebeautiful.com/workshop-methoden-introvertiert
Sind die Anregungen und Tipps unterschiedlichster Gruppenleiter gesammelt. Alternativen zur Vorstellungsrunde, Anregungen zur Tagesstruktur und zur Gruppenarbeit finden sich ebenso wie Ideen für die Räumlichkeiten und die Gestaltung der Pausen.
Eine der 54 Anregungen, die ich beispielhaft herausgreifen möchte, stammt von Dirk Bathen, Organisationsberater und Moderator:
„Arbeitsregeln“, die wir zu Beginn eines jeden Workshops einführen:
- Um eine gute und gleichberechtigte Gesprächskultur zu schaffen, haben wir die Regeln „keine Monologe“ und „ein Gedanke pro Wortbeitrag“. Das verhindert, dass die Lauten jede Gelegenheit nutzen, um ausufernde Reden zu schwingen.
- Ebenso präsentieren wir in manchen Workshops den Grundsatz „Es gibt keine falsche Antwort“ – dies soll die eher ängstlichen Personen motivieren, sich auch zu Wort zu melden.
- …und wir werden als Moderatoren nicht müde, auf die Einhaltung dieser Regeln zu achten und denjenigen, die den Workshop stören – egal, ob durch Dominanz oder Dauertelefonie – dezent auf die Finger zu klopfen.
Besonders gut gefiel mir der Tipp des ACB-Teams namens “Hopes and Fears”, eine Workshop-Methode, die am Beginn eines Seminars eingesetzt werden kann. Dabei gibt es an der Wand zwei Bereiche, einen für “Erwartungen” und einen für “Befürchtungen”. Jeder Teilnehmer erhält ein paar Zettel, wo er seine Erwartungen und Befürchtungen aufschreibt, am besten in einem Stichwort, und heftet diese Zettel an die entsprechenden Bereiche an den Wänden. Danach trifft man sich gemeinsam vor den Bereichen, liest sich die Beiträge durch und spricht darüber, ohne dass man sich “outen” muss, wer welches Stichwort aufgeschrieben hat.
Dieses Tool klingt nach einer sehr guten Möglichkeit, um die Teilnehmer zu motivieren, die eigenen Erwartungen zu reflektieren sowie mit anderen Teilnehmern in ersten Kontakt zu kommen. Für den Gruppenleiter ergibt sich die Gelegenheit, die Erwartungen der Teilnehmer kennen zu lernen und darauf zu reagieren.
Der Blog enthält viele weitere wirklich originelle und vernünftige Ideen! Lesen lohnt sich und macht Lust auf das nächste hoffentlich HSP-gerechte Seminar. Hier nochmal der Link zum Blog
Liebe Grüße!
Liesi
Die Idee mit den Zetteln an der Pinnwand ist grundsätzlich gut, aber nur wenn man seine Zettel nicht selbst dort befestigt. Denn es ist ja wohl offensichtlich, daß ein Zettel von Frau Meier stammt und dann quasi alle mit dem Finger auf sie zeigen und bloßstellen, wenn jeder sehen kann, wie sie ihn dort anbringt.
Sinnvoller wäre, wenn jeder seinen beschriebenen Zettel 2 x zusammenfaltet und in eine bereitgestellte Schüssel gibt. Dann werden alle Zettel vom Kursleiter gemischt und dann von IHM an der Wand befestigt. Nur so wäre Diskretion gewährleistet.
Ich gehe trotzdem niemals zu irgendeiner Gruppenveranstaltung (und bin dankbar für die zunehmende Onlineangebote), weil ich nicht mehrere Menschen gleichzeitig mit all ihren Energien, Gerüchen, Gesten, Aussagen und Verhaltensweisen aushalten kann, erst recht nicht länger als 2 Stunden. Es ist schon anstrengend genug mit einem einzigen Menschen im Gespräch zu sein, ihn in seiner Gesamtheit wahrzunehmen, seine Inhalte aufzunehmen, zu verstehen, über seine Aussagen nachzudenken (sofern man die Gelegenheit dafür bekommt), auf seine Fragen möglichst schnell und klug einzugehen und danach in den Folgetagen das ganze Treffen in all seiner komplexen Nachwirkung zu verarbeiten, um innerlich wieder zur Ruhe zu kommen und in meine innere Mitte zu gelangen – um nach einer kontaktfreien Alleinzeit wieder Kraft zu sammeln für eine nächste zwischenmenschliche Begegnung.
Für mich völlig normal und ein elementares Grundbedürfnis – aber wer kann das schon verstehen?!
Doch, ich kann das gut verstehen. Bin jetzt 67, war seit Kindheit scheu, habe lieber Treffen mit einzelnen Personen als mit Gruppen und viel Smalltalk.. Beruflich war es teils ein Nachteil, dass ich Firmenfeste/Apéros nicht gerne besuchte oder mied. Auch jetzt nach der Pension arbeite ich noch Aushilfe, was mir Freude macht, aber danach bin ich meist froh, 1-2 Tage Zuhause mich “erholen” zu können. Smalltalk war mir immer eine Qual. Allerdings mit Menschen in der Familie oder Freunden bin ich gerne in Kontakt, weil diese mir am Herzen liegen. Durch das älter werden, kann ich heute teils meine Scheu überwinden und draussen auch mit fremden Menschen Kontakte oder Gespräche beginnen. Was mich auch oft stresst, ist, viel und alles schnell erledigt haben zu müssen, wenn dann noch Unvorhergesehenes dazu kommt, bringt mich das gerne aus dem Konzept und ich fühle mich als “Versager” weil ich das Gefühl habe, die anderen schaffen es viel leichter.
Solange ich keine Gruppenspiele mitmachen muss, gehe ich gerne zu Fortbildungsveranstaltungen. Was mich am meisen stört, ist, dass manche TeilnehmerInnen offenbar immer schwätzen müssen! Das ist respektlos (nicht nur dem Vortragenden, sondern auch den anderen gegenüber). Seit Kurzem gehe ich wieder auf die Uni und bin erstaunt (und erfreut) über die Disziplin der jungen Studenten: Da läutet kein Handy, da wird während der Vorlesung auch nicht gequatscht!
Da ich selbst Trainerin bin (als diese wohl eher extrovertiert, ansonsten wohl introvertiert), sehe ich meine Hochsensibilität als Vorteil an. Ich merke, wenn’s einem Teilnehmer nicht gut geht, gehe auf Raumtemperatur, Lichtverhältnisse etc. ein und bemühe mich darum, dass sich alle wohlfühlen. Deshalb habe ich vielleicht auch meist sehr nette TeilnehmerInnen! 🙂
Herzlichen Dank für diesen interessanten Artikel.
Als hochsensible Trainerin für Themen rund um die Hochsensibilität sind die Denkanstöße und vor allem die konkreten Tipps im Blog äußerst hilfreich.
Viele der HSP, die meine Workshops besuchen, kommen neben dem Interesse am Thema Selbstfürsorge auch, um andere HSP kennenzulernen und sich auszutauschen. Das schafft oft eine schöne Dynamik, weil es zum einen ein gutes Gefühl ist, nicht alleine mit den Herausforderungen zu sein und zum anderen hilfreiche Tipps ausgetauscht werden.
Neben den praktischen Aspekten der Workshop-Planung halte ich es für eine der wichtigsten Voraussetzungen, einen Raum zu schaffen, in dem jede/r so sein kann, wie er oder sie ist.
Bin hochsensibel.
Eine feine Antenne.
Und ganz ohne Manipulation.
Und Stolz.
Ein Gedächtnis.
Mit den Empfindungen.
Die Psyche hat gelitten.
Mit Bossing.