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Psychotherapie für Hochsensible – Erfahrungen einer Therapeutin

Psychotherapie - behütetes Pflänzchen

„Ich bin falsch.“ „Ich bin nicht belastbar. Was ist nur mit mir los?“ „Auch kleine Veränderungen in meinem Leben machen mir Angst. Ich brauche lange, um mit ihnen klar zu kommen.“ „Seit ich Kind bin sagen mir andere, ich solle nicht so empfindlich sein. Das setzt mich unter Druck, ich kann es nicht ändern.“ „In einem Raum mit anderen Menschen kann ich die Emotionen und Erwartungen anderer immer ganz schnell spüren.“ „Ich bin mir selbst genug, ich brauche viel Ruhe.“

Portrait-Foto der Therapeutin Sarah Braun
M.Sc. Sarah Braun, München

Hochsensible in meiner Praxis beschreiben mir solche und ähnliche, oft schmerzvolle Gedanken häufig. In unserer schnelllebigen Welt, in der wenig Raum für Tiefe, Details und Individualität gegeben ist, machen HSP besonders oft invalidierende Erfahrungen. Und das meist schon ihr Leben lang. Für ihre Bedürfnisse und ihr Wesen erhalten sie wenig Verständnis und Rücksicht. Vergleiche mit anderen sind meistens unvermeidlich und führen oft zur Selbstwahrnehmung als „zu wenig belastbar“ oder „funktionsfähig“. Die Betroffenen sind in der Folge verunsichert und fühlen sich unsicher. HSP ziehen sich deshalb oft zurück und machen ihre Probleme mit sich selbst aus. Dadurch verstärken sich das Gefühl von Einsamkeit und der Eindruck, anders zu sein und von niemandem verstanden zu werden. Das kann mit der Zeit zu Selbstzweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen bis hin zu Angsterkrankungen oder Depressionen führen. Wenn HSP den Schritt in meine Psychotherapiepraxis tun, haben sich meist schon sekundäre Symptome entwickelt und sie haben Probleme in der Alltagsbewältigung und in Beziehungen.

In einer behutsamen biografischen Arbeit, in der HSP in einem sicheren Rahmen über ihre Vergangenheit reflektieren können und Raum bekommen, um sich zu erinnern und ihre Erinnerungen in einen Kontext zu setzen, kann ihnen bewusst werden, dass ihre besondere Art, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, sie schon vor Beginn der Symptome ihr Leben lang begleitet hat. Oft erinnern sich HSP nach und nach an frühe abwertende Interaktionen mit primären Bezugspersonen in der Kindheit, in denen sie z. B. als „zu empfindlich“ beschimpft und zu mehr „Tapferkeit und Stärke“ erzogen wurden. Sie berichten oft, die von außen gewünschte oder geforderte „Anpassung“ nie erreicht zu haben und sich deshalb als Kind ungenügend oder ungeliebt gefühlt zu haben.

Heute als Erwachsener seinem inneren Kind aus dieser Zeit mit liebevollem Mitgefühl zu begegnen, ihm Schutz und Rückhalt zu geben und ihm zu vermitteln, dass es okay ist, wie es ist, ist ein großer und zunächst ungewohnter Schritt. Aber für die betreffende Person ist es eine sehr bewegende und heilsame Erfahrung und ein Wendepunkt im Leben der Person. Endlich darf ich so sein, habe ich die Möglichkeit, so zu sein, wie ich bin. Bedingungslos.

Wenn HSP in der Therapie beginnen, ihren eigenen Wert wahrzunehmen und für sich selbst Verständnis zu entwickeln, kommt oft eine große Traurigkeit auf. Eine Traurigkeit darüber, bisher so gelitten zu haben und sich selbst nicht anerkannt und wertgeschätzt zu haben. Aber auch eine Sehnsucht und eine Traurigkeit darüber, eben nicht die wissenden, rücksichtsvollen, feinfühlig fördernden Bezugspersonen gehabt zu haben. Der Kontakt mit einer achtsamen und einfühlsamen Therapeutin ist in solchen Momenten meiner Erfahrung nach ein ganz entscheidendes korrigierendes Erlebnis. Dieses kann dann über die weiteren Stunden hinweg wiederholt und verinnerlicht werden, damit es ein Gewicht gegenüber den vielen negativen Vorerfahrungen bildet.

In der therapeutischen Beziehung baut sich Schritt für Schritt ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken auf. Im Rahmen der integrativen Verhaltenstherapie gibt es gute Möglichkeiten, diesen Prozess mit Übungen zu unterstützen und dabei auf die individuelle Persönlichkeit einzugehen: Sei es durch stärkendes Feedback, durch gezielte Verhaltensübungen im Alltag, die in der Therapie sorgfältig vor- und nachbereitet werden, sei es durch kognitives Arbeiten z. B. in Form von Selbstbeobachtungen, Gedankenprotokollen oder sog. „Selbstwertdiagrammen“, über emotional-szenisches Arbeiten mit inneren Anteilen, die miteinander in Dialog treten (sog. Stuhldialoge) oder ob durch körperorientierte Übungen zum Verankern von Werten als Ressourcen. HSP erleben diesen Prozess als besonders belebend, sinnstiftend und stabilisierend. Sie entdecken sich neu und wagen oftmals in Lebensbereichen einen Neustart. Ihre Hochsensibilität bewerten sie mehr und mehr als Bereicherung.

Der künftige Umgang mit der eigenen Hochsensibilität bekommt in einer einfühlsamen Therapie ebenfalls einen festen Platz. Der Klient/die Klientin entdeckt in der gemeinsamen Arbeit, in welchen Situationen und Lebensbereichen ihnen ihre Hochsensibilität hilft und wie sie sie bewusst einsetzen können. Andererseits bauen sie stützende Kontakte auf, und erlernen Stressbewältigungsfähigkeiten, wie die, eigene Grenzen achtsam wahrzunehmen und Grenzen zu setzen. Sie lernen Techniken der Selbstfürsorge und nehmen ganz individuelle Lebensveränderungen vor, wie z. B. den Verzicht auf Genussmittel. Zum künftigen gesunden Umgang mit der Hochsensibilität gehören auch offene, d. h. authentische und zielführende Gespräche mit wichtigen Bezugspersonen. So werden HSP noch weiter stabilisiert und gestärkt.

Persönlich ist für mich die Arbeit mit HSP besonders bereichernd. Jede dieser Erfahrungen ist für mich so einzigartig, wie HSP einzigartig sind, und so unterschiedlich, wie Hochsensibilität unterschiedliche Facetten mit sich bringen kann. Ich schätze an HSP ganz besonders ihre Hingabe und Offenheit, ihre Reflexionsfähigkeit und Tiefe, ihre Gewissenhaftigkeit, ihren scharfen Blick, ihr intuitives Verständnis für den Therapieprozess und die therapeutische Beziehung und nicht zuletzt ihre große kreative Gabe und Vorstellungskraft. All das macht die Therapie zu einem ganz persönlichen Erlebnis für beide Seiten.

Sarah Braun
Psychologische Psychotherapeutin
www.psych.help

Weitere erfahrene Therapeuten und Coaches, die sich speziell mit Hochsensibilität befasst haben, finden Sie auf dieser Webseite unter ‘Links’
Liebe Grüße,
Liesi

7 Gedanken zu „Psychotherapie für Hochsensible – Erfahrungen einer Therapeutin

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