Verschiedene
Reaktionen auf Stress
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Viele hochsensible Menschen haben mit Stress zu
kämpfen und fragen sich, wie sie damit am sinnvollsten umgehen
können. Das ist eine komplexe Fragestellung, auf die selbst
Psychologen und Mediziner keine einfachen und allgemein anwendbaren
Antworten geben können. An dieser Stelle haben wir ein paar
Einsichten aus der modernen Hirnforschung für Sie zusammengefasst.
Wer sich genauer damit auseinandersetzen möchte, dem sei das
Buch „Biologie der Angst“ von Gerald Hüther empfohlen.
Wegen der Komplexität des Themas können wir die Zusammenhänge
nur stark vereinfacht und verkürzt darstellen.
Für höhere Lebewesen ist es ganz normal, immer wieder
in Stress zu geraten. Die Stressreaktionen haben den Sinn, eine
bessere Anpassung an die aktuelle Lebenssituation zu ermöglichen.
Für uns Menschen ist es sinnvoll, zwischen sog. kontrollierter
und unkontrollierter Stressreaktion zu unterscheiden, denn beide
haben unterschiedliche Ursachen, unterschiedliche Ziele und deshalb
empfiehlt sich ein unterschiedliches Verhalten.
Kontrollierte Stressreaktion: Diese tritt beim
gesunden Menschen dann auf, wenn die Lebensumstände schwieriger
werden, jedoch ein Ende der Stressbelastung abzusehen ist. Beispiele
wären etwa kurz vor einer Prüfung, bei einem kleinen Unfall
oder wenn am Arbeitsplatz wegen einer bevorstehenden Konferenz ungewöhnlich
viel zu tun ist. In solchen Situationen ist es sinnvoll, die Situation
zu ertragen. Die kontrollierte Stressreaktion soll dabei helfen.
Das Motto dieser physiologischen Reaktion scheint zu lauten: „Mehr
vom gleichen“. Die Stresshormone bewirken, dass unser Puls
schneller geht, die Atmung ebenfalls. Manche schlafen weniger, andere
haben auch ein vermindertes Hungergefühl. Wir arbeiten dann
schneller, denken intensiver, übersehen so manches, um fokussiert
bleiben zu können, u.s.w.. Diese Stressreaktion bewirkt, dass
eher auf altbewährte Denkmuster zurückgegriffen wird.
Die in der Vergangenheit am meisten benutzten Nervenbahnen im Gehirn
werden besonders stark angeregt und zwar schneller als sonst. Denn
das, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, soll wieder
getan werden, und zwar schnell. Vieles wird ausgeblendet. Das erklärt,
warum viele Menschen bei Stress eine größere Sturheit
an den Tag legen. Man scheint wie mit Scheuklappen durchs Leben
zu gehen. Da bleibt keine Energie für Kreativität und
unkonventionelles Verhalten, diese werden auf einen späteren
Zeitpunkt verschoben.
Irgendwann ist die Stress-Belastung wieder vorbei und wir können
zu unserem gewohnten Lebensstil zurückkehren, uns ausschlafen
und pflegen und wieder spielerisch und kreativ werden.
Unkontrollierte Stressreaktion
Ist der Stress jedoch strukturell bedingt, das heißt, ist
ein Ende nicht abzusehen, z.B. weil man mit chronischen Beziehungskonflikten
lebt, oder wegen andauernden Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder
weil man seine eigene Arbeit für unethisch hält, oder
bei ernsten gesundheitlichen Problemen oder Schmerzen, so ist die
obengenannte Stressreaktion nicht mehr sinnvoll. Denn „Mehr
vom Gleichen“ bringt dann nur mehr vom Gleichen. In solchen
Situationen ist von der Natur die sogenannte 'unkontrollierte Stressreaktion’
vorgesehen. Deren Motto lautet: „Die alten Wege haben versagt,
jetzt muss etwas Neues gefunden werden.“
Durch diesen lang anhaltenden Dauerstress werden zusätzlich
andere Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet. Die Veränderungen
unserer Psyche sind noch unangenehmer als bei der kontrollierten
Stressreaktion: Wir fühlen uns ohnmächtig, vielleicht
verzweifelt, und überfordert. Auf der Ebene des Hirnstoffwechsels
bewirken die dabei ausgeschütteten Hormone die Auflösung
von Verbindungen innerhalb des Gehirns. Diese Wirkung war schon
lange bekannt und zwar nur von ihrer negativen Seite: Gedächtnisstörungen
und Wortverwechslungen findet man häufig bei Menschen, die
im Dauerstress leben müssen.
Jedoch (jetzt kommt die gute Nachricht): Diese Gehirnveränderungen
haben auch ihr Gutes. Denn es fällt uns dadurch leichter, gewohnte
Bahnen zu verlassen, Situationen von neuen Blickpunkten aus zu sehen
und neues Verhalten auszuprobieren. Erst durch die intensiv gefühlte
Erkenntnis, dass das Alte nicht funktioniert, kann Neues gefunden
werden. Während wir noch verwirrt und verzweifelt sind, bahnen
sich in unserer Psyche und in unserem Gehirn bereits neue Wege an.
Für uns als HSP ist es sehr sinnvoll, uns damit auseinander
zu setzen und diese beiden Reaktionen unterscheiden zu lernen. Weil
es nicht sinnvoll ist, z.B. eine unkontrollierte Stressreaktion
(etwa wegen einem gewalttätigen Ehepartner) durch Atemübungen
und Beruhigungsmittel erträglich zu machen und endlos zu ertragen.
Umgekehrt ist es nicht sinnvoll, bei kurzfristigem 'kontrollierbarem
Stress’ gleich alles in Frage zu stellen.
Am Anfang jedes sinnvollen Stressmanagements sollte eine ehrliche
Prüfung der Situation stehen, vielleicht mit einem Coach oder
einem möglichst unbeteiligten Freund.
Ist es eine vorübergehende Stressspitze, wo „Mehr vom
Gleichen“ sinnvoll ist? Oder ist es ein grundlegendes Problem,
das nur durch eine grundlegende Richtungsänderung gelöst
werden kann?
Entsprechend sehen die Maßnahmen zur Erleichterung
unterschiedlich aus:
Wenn es ein kurzfristiger, „kontrollierbarer“
Stress ist:
- Vermeiden Sie Neues! Lesen Sie nicht alle Nachrichten, die
Sie aufregen könnten; reduzieren Sie Termine.
- Wenden Sie bewährte Strategien an, um sich zu beruhigen
und zu entspannen. (Atemübungen, Spaziergänge, Meditation,
Gespräch mit einem guten Freund) Seien Sie gut zu sich, aber
versuchen Sie nicht, eine Vielzahl von neuen Übungen oder
andere Veränderungen vorzunehmen. Das würde den Stress
nur vergrößern.
- Sagen Sie sich innerlich vor: Das geht bald vorbei.
- Belohnen Sie sich mit der Vorstellung, was Sie Schönes
tun werden, wenn diese stressige Situation vorbei sein wird.
[Aber Achtung: Wenn Sie sich mit den Stressfaktoren nicht mutig
auseinandersetzen, wenn Sie solche Herausforderungen regelmäßig
nicht annehmen (können), dann kann ungünstiger Dauerstress
entstehen.]
Für die meisten Menschen wird kurzzeitiger kontrollierbarer
Stress regelmäßig vorkommen und kann auch, vernünftiges
Selbstmanagement vorausgesetzt, ohne gesundheitliche Schäden
gut überstanden werden.
Ganz anders verhält es sich, wenn Sie sich in einer „unkontrollierten
Stressreaktion“ befinden. Sie erkennen es daran, dass es Ihnen
wirklich sehr schlecht geht: Massive Schlafstörungen, Gefühle
der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und starke Selbstzweifel dominieren
Ihren Alltag. In diesem Fall sind grundsätzliche Änderungen
notwendig.
Stressforscher unterscheiden verschiedene Kategorien
von möglichen Änderungen:
- Man kann das, was stresst, verändern oder beseitigen.
- Man kann seine Bewertung und Reaktion ändern.
- Man kann sich schützen.
- Man kann fliehen.
- Man kann verleugnen, dass es ein Problem gibt.
Für welche der Kategorie Sie sich eher entscheiden, hängt
sicher vom Naturell wie auch von der Art der Belastung ab. Wenn
Sie mit einer unkontrollierten Stressreaktion leben, ist es immer
sinnvoll, sich Hilfe zu organisieren.
Bei unkontrollierbarem Stress sehen unsere Tipps ganz anders
aus:
- Geben Sie ehrlich zu, vor allem vor sich selbst, dass Sie nicht
weiter wissen.
- Nehmen Sie eine Auszeit. Geben Sie Ihrem Gehirn Gelegenheiten,
die gewohnten Bahnen loszulassen, indem Sie sich der gewohnten
Routine entziehen.
- Brechen Sie aus Gewohnheiten aus. Machen Sie z.B. einen Spaziergang
in einer schönen Gegend, wo Sie noch nie waren. Suchen Sie
nach Gelegenheiten, wo Sie die Welt ganz buchstäblich aus
einem anderen Blickwinkel sehen können.
- Machen Sie sich bewusst, dass Sie schon viele grundlegende
Veränderungen in Ihrem Leben gut überstanden haben.
Vertrauen Sie darauf, dass es auch diesmal weitergehen wird, auch
wenn Sie noch nicht wissen, wie.
- Machen Sie sich bewusst, dass auch dieser Prozess, in dem Sie
sich gerade befinden, ganz natürlich ist. Auch diese Situation
ist ein Teil des Lebens, und Ihre Stressreaktionen sind von der
Natur vorgesehen, um Ihnen zu helfen, Neues zu wagen.
Dieses Neue kann im äußeren Handeln liegen oder auch
in Ihrer Einstellung. Aber versuchen Sie nicht, sich darüber
hinweg zu retten, indem Sie sich einreden, Sie müssen nur lernen,
alles auszuhalten. Nein, Sie müssen tatsächlich etwas
Neues lernen. Finden Sie heraus, was.
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