Arten von Stress

Kontrollierte und unkontrolliere Stressreaktion

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Die meisten hochsensiblen Menschen haben häufig mit Stress zu kämpfen und viele können damit nicht gut umgehen. Wie lässt sich Stress vermeiden und was können wir tun, wenn wir mit zuviel Anspannung und Stress leben müssen? Auf diese Frage können Psychologen und Mediziner keine einfachen und und allgemeingültigen Antworten geben. Hier haben wir ein paar Einsichten aus der modernen Hirnforschung für Sie zusammengefasst:

Nicht nur für Menschen, sondern für alle höheren Lebewesen ist es ganz normal, immer wieder in Stress zu geraten. Die Stressreaktionen erhöhen die Aufmerksamkeit und haben den Sinn, sich schnell an die aktuelle Lebenssituation anzupassen.


Für viele HSP ist es sehr hilfreich und augenöffnend, den Unterschied zwischen sog. kontrollierter und unkontrollierter Stressreaktion  zu unterscheiden. Denn beide haben unterschiedliche Ursachen, einen unterschiedlichen Sinn. Deshalb sollten wir auch unterschiedlich damit umgehen.


Kontrollierte Stressreaktion:

Diese tritt beim gesunden Menschen dann auf, wenn die Lebensumstände schwieriger werden, jedoch ein Ende der Stressbelastung abzusehen ist. Beispiele wären etwa kurz vor einer Prüfung, bei einem kleinen Unfall oder wenn am Arbeitsplatz wegen einer bevorstehenden Konferenz ungewöhnlich viel zu tun ist. In solchen Situationen ist es sinnvoll, die Situation zu ertragen. Die kontrollierte Stressreaktion soll dabei helfen.

Das Motto dieser physiologischen Reaktion scheint zu lauten: „Mehr vom gleichen“. Die Stresshormone bewirken, dass unser Puls schneller geht, die Atmung ebenfalls. Manche schlafen weniger, andere haben auch ein vermindertes Hungergefühl. Wir arbeiten dann schneller und denken intensiver. Dabei übersehen so manches, was in unserer Umgebung sonst noch vor sich geht, um fokussiert bleiben zu können. Die sogenannte “kontrollierte Stressreaktion” bewirkt, dass wir auf Altbewährtes zurückgreifen und das Gewohnte tun, aber schneller.

Die in der Vergangenheit am meisten benutzten Nervenbahnen im Gehirn werden besonders stark angeregt und zwar schneller als sonst. Denn das, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, soll wieder getan werden, und zwar schnell. Vieles wird ausgeblendet. Das erklärt, warum viele Menschen bei Stress eine größere Sturheit an den Tag legen. Man scheint wie mit Scheuklappen durchs Leben zu gehen. Da bleibt keine Energie für Kreativität und unkonventionelles Verhalten, diese werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Irgendwann ist die Stress-Belastung wieder vorbei und wir können zu unserem gewohnten Lebensstil zurückkehren, uns ausschlafen und pflegen und wieder spielerisch und kreativ werden.

Unkontrollierte Stressreaktion

Ist der Stress jedoch strukturell bedingt, das heißt, ist ein Ende nicht abzusehen, z.B. weil man mit chronischen Beziehungskonflikten lebt, oder wegen andauernden Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder weil man seine eigene Arbeit für unethisch hält, oder bei ernsten gesundheitlichen Problemen oder Schmerzen, so ist die oben genannte Stressreaktion nicht mehr sinnvoll. Denn „Mehr vom Gleichen“ bringt dann nur mehr vom Gleichen.

In solchen Situationen ist von der Natur die sogenannte ‘unkontrollierte Stressreaktion’ vorgesehen. Deren Motto lautet: „Die alten Wege haben versagt, jetzt muss etwas Neues gefunden werden.“

Durch lang anhaltenden Dauerstress werden zusätzlich andere Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet. Die Veränderungen unserer Psyche sind noch unangenehmer als bei der kontrollierten Stressreaktion: Wir fühlen uns ohnmächtig und überfordert, vielleicht sogar verzweifelt. Auf der Ebene des Hirnstoffwechsels bewirken die dabei ausgeschütteten Hormone die Auflösung von Verbindungen innerhalb des Gehirns. Diese Wirkung war schon lange bekannt und zwar nur von ihrer negativen Seite: Gedächtnisstörungen und Wortverwechslungen findet man häufig bei Menschen, die im Dauerstress leben müssen.
Jedoch (jetzt kommt die gute Nachricht): Diese Gehirnveränderungen haben auch ihr Gutes. Denn es fällt uns dadurch leichter, gewohnte Bahnen zu verlassen, Situationen von neuen Blickpunkten aus zu sehen und neues Verhalten auszuprobieren. Erst durch die intensiv gefühlte Erkenntnis, dass das Alte nicht funktioniert, wird Neues gesucht und gefunden. Während wir noch verwirrt und verzweifelt sind, bahnen sich in unserer Psyche und in unserem Gehirn bereits neue Wege an.

Für uns als HSP kann es sehr lohnend sein, uns damit auseinander zu setzen und diese beiden Reaktionen unterscheiden zu lernen. Weil es nicht klug ist, eine ‘unkontrollierte Stressreaktion’ (etwa wegen einem gewalttätigen Ehepartner) mit Hilfe von Atemübungen oder Beruhigungsmitteln erträglich zu machen und endlos zu ertragen.
Umgekehrt ist es oft nicht sinnvoll, bei kurzfristigem ‘kontrollierbarem Stress’ gleich alles in Frage zu stellen und womöglich alles hinzuwerfen.

Am Anfang jedes guten Stressmanagements sollte eine ehrliche Prüfung der Situation stehen, vielleicht mit einem Coach oder einem möglichst unbeteiligten Freund: Ist es eine vorübergehende Stressspitze, wo „Mehr vom Gleichen“ sinnvoll ist? Oder ist es ein grundlegendes Problem, das nur durch eine grundlegende Richtungsänderung gelöst werden kann? Dies ist wichtig zu klären, denn es gibt . . .

Unterschiedliche Maßnahmen zur Erleichterung

Wenn es ein kurzfristiger, „kontrollierbarer“ Stress ist:

  • Vermeiden Sie Neues! Lesen Sie nicht alle Nachrichten, die Sie aufregen könnten; reduzieren Sie Termine.
  • Wenden Sie bewährte Strategien an, um sich zu beruhigen und zu entspannen. (Spaziergänge, leichter Sport, Meditation, Gespräch mit einem guten Freund) Seien Sie gut zu sich, aber versuchen Sie nicht, eine Vielzahl von neuen Übungen oder andere Veränderungen vorzunehmen. Das würde den Stress nur vergrößern.
  • Sagen Sie sich innerlich vor: “Das geht bald vorbei.” “Das schaffe ich.”
  • Belohnen Sie sich mit der Vorstellung, was Sie Schönes tun werden, wenn diese stressige Situation vorbei sein wird.

[Aber Achtung: Wenn Sie sich mit den Stressfaktoren nicht mutig auseinandersetzen, wenn Sie solche Herausforderungen regelmäßig nicht annehmen (können), dann kann ungünstiger Dauerstress entstehen.]

Für die meisten Menschen wird kurzzeitiger kontrollierbarer Stress regelmäßig vorkommen und kann auch gut überstanden werden.

Ganz anders verhält es sich, wenn Sie sich in einer „unkontrollierten Stressreaktion“ befinden. Sie erkennen es daran, dass es Ihnen wirklich sehr schlecht geht: Massive Schlafstörungen, Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und starke Selbstzweifel dominieren Ihren Alltag. In diesem Fall sind grundsätzliche Änderungen notwendig.

Stressforscher unterscheiden verschiedene Kategorien von möglichen Änderungen:

  • Man kann das, was stresst, verändern oder beseitigen.
  • Man kann seine Bewertung und Reaktion ändern.
  • Man kann sich schützen.
  • Man kann fliehen.
  • Man kann verleugnen, dass es ein Problem gibt.

Für welche der Kategorie Sie sich eher entscheiden, hängt sicher vom Naturell wie auch von der Art der Belastung ab. Wenn Sie mit einer unkontrollierten Stressreaktion leben, ist es immer sinnvoll, sich Hilfe zu organisieren.

Bei unkontrollierbarem Stress sehen die Tipps ganz anders aus:

  • Geben Sie ehrlich zu, vor allem vor sich selbst, dass Sie nicht weiter wissen.
  • Nehmen Sie eine Auszeit. Geben Sie Ihrem Gehirn Gelegenheiten, die gewohnten Bahnen loszulassen, indem Sie sich der gewohnten Routine entziehen.
  • Brechen Sie aus Gewohnheiten aus. Machen Sie z.B. einen Spaziergang in einer schönen Gegend, wo Sie noch nie waren. Suchen Sie nach Gelegenheiten, wo Sie die Welt ganz buchstäblich aus einem anderen Blickwinkel sehen können.
  • Machen Sie sich bewusst, dass Sie schon andere grundlegende Veränderungen in Ihrem Leben überstanden haben. Vertrauen Sie darauf, dass es auch diesmal weitergehen wird, auch wenn Sie noch nicht wissen, wie.
  • Machen Sie sich bewusst, dass auch dieser Prozess, in dem Sie sich gerade befinden, ganz natürlich ist. Auch diese Situation ist ein Teil des Lebens, und Ihre Stressreaktionen sind von der Natur vorgesehen, um Ihnen zu helfen, Neues zu wagen.

Dieses Neue kann im äußeren Handeln liegen oder auch in Ihrer Einstellung. Aber versuchen Sie nicht, sich darüber hinweg zu retten, indem Sie sich einreden, Sie müssen nur lernen, alles auszuhalten. Nein, Sie müssen tatsächlich etwas Neues lernen. Finden Sie heraus, was.

Liebe Grüße,
Liesi

Wenn Sie sich noch genauer damit beschäftigen möchten, so empfehlen wir Ihnen das Buch “Biologie der Angst” von Gerald Hüther.